„Nicht alle Eier in einen Korb legen“ – begrenzen Sie betriebliche Risiken

Beitrag von Agrarexperte Dirk Gieschen

Auch landwirtschaftliche Betriebe sollen Risikomanagement betreiben – kaum ein Ratschlag hat seit den extremen Marktverwerfungen des letzten Jahres eine so hohe Konjunktur erlebt. Hätte ein besseres Risikomanagement allen geholfen? Gute Frage. Denn mit den guten Ratschlägen ist es dabei wie mit dem Spargelanbau: Man hätte schon drei Jahre vorher damit anfangen müssen, um heute von ihnen profitieren zu können. Wir stehen im Frühjahr 2023. Wenn Sie Ihre Strategie ändern und Ihre Risiken begrenzen wollen, dann können Sie das nur mit dem Blick nach vorn tun.

Die Erkenntnis: Keiner hat Marktextreme in dieser Dimension erwartet

Die Marktsituation ist für Landwirte sowohl auf der Einkaufs- als auch auf der Verkaufsseite extrem geworden. Erzeugerpreise und Betriebsmittelkosten verdoppelten oder verdreifachten sich in kurzer Zeit – wann hat es in den letzten Jahrzehnten schon so extrem schwankende Märkte wie im letzten und diesem Jahr gegeben? Getreide-, Milch und Schweinepreise stiegen auf ungeahnte Höhen, um später wieder deutlich einzubrechen. Ähnliche Entwicklungen gab es auch bei Düngemitteln, beim Pflanzenschutz sowie bei Diesel, Gas und Heizöl. Und seit dem vergangenen Frühjahr sind auch bei den Kreditkonditionen wieder deutliche Sprünge nach oben zu verzeichnen. Wenn man realistisch bleibt, kommt man zur klaren Erkenntnis: Diese extremen Ausschläge hat so wohl keiner erwartet, also hätte man sie auch kaum perfekt absichern können.

Entscheidend ist, wie man mit dem Risiko umgeht

Was kann man nun daraus für die Zukunft lernen? Der Risikomanagementexperte Frank Romeike stellte zum Jahreswechsel in einem Interview mit den DLG-Mitteilungen fest: „Am Ende des Tages geht es um präventive Maßnahmen, die verhindern, dass einem das Risiko um die Ohren fliegt. Das Gefährliche an einem Risiko ist nicht das Risiko selbst, sondern wie man mit ihm umgeht.“ Am Kapitalmarkt wird Anlegern immer wieder ein alter Tipp des Wirtschaftsnobelpreisträgers Harry M. Markowitz gegeben: „Lege nicht alle Eier in einen Korb.“ Es geht also darum, die Risiken zu begrenzen, indem eine Risikostreuung betrieben wird.

Der erste Schritt im Risikomanagement: Identifizieren und bewerten Sie relevante Risiken!

Dafür ist es entscheidend, zuallererst die für den eigenen Betrieb wirklich relevanten Risiken zu identifizieren. Das ist der erste Schritt im Risikomanagement. Beantworten Sie für sich die Frage: Welches Risiko ist für meinen Betrieb wirklich gefährlich? Hier kommt eine Liste möglicher Risiken:

  • Witterungsverlauf: Wird 2023 endlich wieder ein normales Jahr oder kommt doch wieder eine Dürre?
  • Muss ich (wieder) mit Extremwetterereignissen wie Starkregen oder Hagel rechnen?
  • Wie entwickelt sich in den nächsten Wochen der Unkraut-, Krankheits- und Schädlingsdruck im Getreide, in den Zuckerrüben, im Raps, im Mais, in den Kartoffeln?
  • Mit welchen Erträgen beim Getreide, Mais und Gras kann ich bei welchem Wetter rechnen?
  • Wie entwickeln sich die Preise für die Verkaufsprodukte meines Betriebes vor und nach der Ernte? Lohnt sich ein Vorverkauf?
  • Wie entwickeln sich die Märkte und Preise für Milch oder Schweinefleisch?
  • Wie entwickeln sich die Einkaufspreise für Mischfutter, Dünger, Pflanzenschutzmittel, Diesel und Gas?

Versuchen Sie, diese Risiken nach ihrer Wahrscheinlichkeit für diese Saison sowie die möglichen finanziellen Auswirkungen für Ihren Betrieb zu bewerten. Welche Risiken wären bei ihrem Eintreten wirtschaftlich besonders gefährlich? Wo drohen die größten Verluste oder Kostenbelastungen? Welche Risiken könnte man durch Versicherungen oder ähnliche Absicherungen begrenzen?

Praxistipp: Teilen Sie Risiken auf mehrere „Körbe“ auf

Versuchen Sie genau für diese Risiken den Ratschlag „Lege nicht alle Eier in einen Korb“ zu befolgen. Begrenzen Sie das Risiko, indem Sie es auf mehrere „Körbe“ aufteilen. Warten Sie nicht auf den besten Preis. Wer kann nach den Erfahrungen der letzten Jahre sicher sagen, wann dieser beste Preis kommt? Sichern Sie einen Teil der zu erwartenden Getreideernte durch Kontrakte ab. Wenn sich der Preis für Futtermittel oder Düngemittel aktuell in einem akzeptablen Bereich bewegt, dann sichern Sie ebenfalls zumindest einen Teil ab.  

Erfolgreiche Produktion ist die beste Risikoabsicherung

Die wichtigste Strategie für das Risikomanagement ist, die Produktionstechnik im Griff zu haben, also  den eigenen Betrieb zu optimieren. Hier können Sie durch das eigene Handeln am meisten bewegen. Versuchen Sie, über eine sehr gute Produktion zu möglichst niedrigen Kosten zu produzieren. Ein Beispiel: Teurer Dünger macht den Getreideanbau noch teurer, wenn man von ihm unnötig viel einsetzt. Andererseits: Wer beim Düngen an der falschen Stelle spart, riskiert möglicherweise deutliche Ertragseinbußen. Augenmaß, Erfahrung, Bodenproben und Pflanzenanalysen sowie eine gute Beratung sind hier gefragt. An diesen Punkten sollten Sie nicht sparen.

Sichern Sie die Verfügbarkeit von Betriebsmitteln

Viele Landwirte wurden im letzten Jahr von Lieferengpässen bei Betriebsmitteln wie Dünge- und Pflanzenschutzmitteln überrascht. Besonders galt das für Betriebe, die auf sinkende Preise spekuliert hatten. Doch die Preise sanken nicht und als es losgehen sollte, waren selbst Standardsorten nicht überall verfügbar. Eine typische Risikofalle: Dünger, der nicht zum optimalen Zeitpunkt auf dem Hof ist und in den Streuer geladen werden kann, kann nicht effizient eingesetzt werden. Das kostet auf jeden Fall Ertrag und Qualität. Gehen Sie bei Betriebsmitteln deshalb nie ins volle Risiko, sondern teilen Sie auch hier das Risiko auf mehrere Körbe auf. Setzen Sie zumindest für einen Teil des Bedarfs auf die Vorratshaltung oder auf Verträge.

Entwickeln Sie eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie

Wie nachhaltig bewirtschaften Sie Ihren Betrieb? Ärgern Sie sich noch über Nachhaltigkeitsprogramme von Marktpartnern oder nutzen Sie schon die Chancen, die diese Programme bieten? Denn tatsächlich können Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit und damit einer besseren Effizienz des Wirtschaftens auch eine Strategie zur Begrenzung betrieblicher Risiken sein. Das wurde auf der der diesjährigen DLG-Wintertagung deutlich, deren Leitthema „Nachhaltigkeit in Krisenzeiten“ lautete. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft forderte ihre Mitglieder und Gäste mit der Unterzeile des Leitthemas schon fast provozierend heraus: „Neubewerten – Aufgeben – Weiterführen“.

Sind die Risiken des Betriebszweigs wirklich noch tragbar?

Tatsächlich sind diese drei Punkte für jeden Landwirt, aber auch für jeden anderen Unternehmer, Prüfsteine im wahrsten Sinne des Wortes. Der Sinn des Risikomanagements ist, Risiken zu identifizieren und sie letztlich, wenn irgend möglich, zu begrenzen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre macht der von der DLG vorgegebene Punkt „Neubewerten“ wirklich Sinn. Mehr noch: Er ist jetzt eine der wichtigsten unternehmerischen Aufgaben. Mit dem Ergebnis: Wenn Risiken in der bisherigen Form der Betriebsstrategie nicht mehr tragbar sind, dann muss sich die Strategie erheblich ändern oder der Betrieb beziehungsweise der Betriebszweig müssen aufgegeben werden.


Das Wichtigste in Kürze:

✅ Wollen Sie eine Reduzierung der Flächenproduktivität mittragen?

Bezogen auf das einzelbetriebliche Risikomanagement heißt dies: Wenn seitens der Politik eine Reduzierung der Flächenproduktivität, beispielsweise durch eine Reduzierung des Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes propagiert wird, sollte der Landwirt für sich entscheiden, ob er das damit für seinen Betrieb verbundene Risiko der Ertrags- und Einkommensminimierung tragen kann und will. Das gilt im Übrigen auch für die Agrarpolitik in all ihren Facetten: Strategisch denkende Landwirte, die ein wirkungsvolles Risikomanagement betreiben wollen, sollten weniger Zeit damit verbringen, die Agrarpolitik zu kommentieren. Sie sollten die möglichen Auswirkungen von politisch bedingten Veränderungen auf ihrem Betrieb laufend analysieren und mit ihren Beratern über Anpassungsmöglichkeiten diskutieren.

✅ Woher kommen fundierte Informationen über Markt- und Politikentwicklungen?

Vielen stellt sich die Frage: Woher bekomme ich denn die Informationen für eine fundierte Beurteilung der Märkte, der Politik und meiner Risiken? Es mag auf den ersten Blick überraschen, aber es gibt kaum eine Branche, in der Beteiligten so gute Informationsmöglichkeiten geboten werden, wie dies in der Landwirtschaft der Fall ist. Von den Magazinen und wöchentlichen Heften sowie den Online-Auftritten der Fachzeitschriften, insbesondere von topagrar.com, agrarheute.com, den DLG-Mitteilungen und den regionalen Landwirtschaftsblättern über die E-Mail-Newsletter der Redaktionen, der DLG, der Bauernverbände und der Beratungsinstitutionen bis hin zu den laufenden Informationen der Marktpartner – die Informationen sind topaktuell verfügbar. Sie müssen nur genutzt werden.


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Stand: 09.05.2023