Ein extremer Sommer neigt sich dem Ende zu, die Getreideernte 2022 ist bis auf die ja erst im Oktober anstehende Körnermaisernte abgeschlossen. Im myAGRAR-Ernterückblick werfen wir jetzt einen Blick in die bisher veröffentlichten Ertragsschätzungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL), des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV). Unser Fazit: Die Ernteergebnisse sind in vielen Regionen vom fehlenden Regen bis hin zur Dürre geprägt. Aber die Ergebnisse sind doch sehr unterschiedlich.
Neben den Meldungen aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern von Weizenbeständen, die auf dem Halm vertrocknet sind, haben andere Landwirte mehr Glück gehabt. Landwirtschaftliche Betriebe mit Standorten auf besseren Böden, beispielsweise in Schleswig-Holstein und im Rheinland, die mit ausreichenden Niederschlägen gut aus dem Winter kamen, bei denen dann zwischendurch Regen fiel und wo die Hitzewelle erst spät einsetzte, konnten im Vergleich noch ganz passable Erträge verzeichnen.
Licht und Schatten je nach Standort und Bodenqualität
Deshalb überschrieb das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) am 26. August 2022 seinen Erntebericht mit der Headline „Licht und Schatten – Ernte im Zeichen der Klimakrise“. Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte in der Woche zuvor seine Erntebilanz überschrieben mit „Wiederum unterdurchschnittliche Ernte“. In seinem Pressestatement stellte auch DBV-Präsident Joachim Rukwied einen Zusammenhang mit dem Klimawandel her: „Die regionalen Unterschiede sind dabei noch stärker ausgeprägt als in den Vorjahren. Die in vielen Regionen des Landes lang anhaltende Trockenheit zeigt erneut, dass die Landwirte die Auswirkungen des Klimawandels sehr direkt zu spüren bekommen.“
Welcher mehr- und langjährige Vergleich der Getreideernte macht Sinn?
Die Interpretation, wie gut oder schlecht die Getreideernte in diesem Jahr im Vergleich zum langjährigen Mittel einzuschätzen ist, fällt beim BMEL, dem DBV und dem DRV unterschiedlich aus. Einer der Gründe hierfür ist, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium in seiner Ernteschätzung die Erntemenge zunächst ohne Körnermais nennt: „Die Getreideernte insgesamt (ohne Körnermais) wird sich voraussichtlich auf rund 39,7 Millionen Tonnen belaufen und fällt damit in diesem Jahr um 4,8 Prozent höher als im Vorjahr aus. Gegenüber dem sechsjährigen Durchschnitt ergibt sich eine Zunahme um 1,5 Prozent.“
Diese Aussage mag zunächst überraschen, weil der DBV ja von einer „erneut unterdurchschnittlichen“ Ernte spricht. Das liegt aber auch daran, dass der DBV aus seinem Vergleichszeitraum das Dürrejahr 2018 rausgerechnet hat. Auf der anderen Seite hat das BMEL den Körnermais, für den voraussichtlich eine zum Teil katastrophale Ernte zu verzeichnen sein wird, erst einmal ausgeblendet. In beiden Vergleichen fehlt zudem der Blick auf den schwankenden Umfang der jeweiligen Anbauflächen zwischen den Jahren.
2017 bis 2020 waren keine „normalen“ Jahre für den Getreideanbau
Beide Vergleiche muss man also hinsichtlich des Vergleichszeitraums kritisch betrachten. Denn tatsächlich sind von 2016 bis 2021 ja lediglich 2016 und 2021 als „normale“ Jahre für den Getreideanbau zu werten. 2017 war ein sehr nasses Jahr, 2018, 2019 und 2020 waren trockene Jahre bis hin zur Dürre. Und seit vier Jahren, beginnend mit 2018, baut sich an vielen Standorten ein Problem mit zu trockenen tieferen Bodenschichten auf. Zieht man den Vergleich über die letzten zehn Jahre, dann wird für Deutschland deshalb kaum noch von einer überdurchschnittlichen Getreideernte gesprochen werden können – auch ohne das schlechte Erntejahr 2018 auszublenden.
Wie groß sind die regionalen Ertragsunterschiede bei der Weizenernte 2022?
Den bundesweiten Durchschnittsertrag für den Winterweizen gibt das BMEL mit 76,2 dt/ha an. Der DBV hat auf der Basis einer Umfrage bei den Landesbauernverbänden mit Stand vom 22. August eine Ertragsschätzung für die Bundesländer veröffentlicht. Demnach rechnen die Landwirte in Schleswig-Holstein mit einem Weizen-Durchschnittsertrag von 100 dt/ha, in Nordrhein-Westfalen mit 88 dt/ha, in Niedersachsen mit 85 dt/ha und in Mecklenburg-Vorpommern immerhin noch mit 81 dt/ha. Danach fallen die Erträge zum Teil deutlich ab: Hessen 78 dt/ha, Baden-Württemberg 75 dt/ha, Bayern 72 dt/ha, Thüringen 70 dt/ha, Sachsen 67 dt/ha, Rheinland-Pfalz 65 dt/ha, Sachsen-Anhalt 64 dt/ha, Saarland 62 dt/ha und Brandenburg 61 dt/ha.
Geringere Spannweite der Erträge bei der Wintergerste
Bei der Wintergerste schwanken die Erträge üblicherweise nicht so stark. Außerdem war die Wintergerste mit Beginn der zweiten Hitzeperiode im Juli bereits „fertig“, wenn nicht sogar schon gedroschen. Ein Aspekt, der nach den diesjährigen Erfahrungen für die künftige Anbauplanung mehr Bedeutung erlangen könnte. Der DBV meldet folgende Durchschnittserträge: Schleswig-Holstein 90 dt/ha. Niedersachsen 86 dt/ha, Mecklenburg-Vorpommern 83 dt/ha, Nordrhein-Westfalen 81 dt/ha, Hessen 80 dt/ha, Sachsen 78 dt/ha, Thüringen 77 dt/ha, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg 74 dt/ha, Bayern 71 dt/ha, Brandenburg 65 dt/ha, Saarland 62 dt/ha und Rheinland-Pfalz 60 dt/ha.
Wintergetreide 2022 im Vorteil gegenüber anderen Kulturen
Für das Wintergetreide zieht das Bundeslandwirtschaftsministerium dann auch eine positive Bilanz: „Wintergetreide profitierte in vielen Regionen, leider aber nicht überall, von den Niederschlägen im vergangenen Winter und konnte so Hitze und Trockenheit im Frühsommer trotzen.“ Das BMEL geht in seinem ausführlichen Erntebericht weiter ins Detail und kommt zu dem Fazit: „Bei den bereits geernteten Winterkulturen waren die Erträge vielfach höher als die geringen Niederschlagsmengen erwarten ließen. Die Bodengüte und das Wasserhaltevermögen der einzelnen Standorte oder aber die Möglichkeit einer Beregnung spielten hier eine entscheidende Rolle.“ Der Wermutstropfen ist allerdings die Einschätzung der geernteten Qualitäten: „Die Qualitäten stimmen insgesamt, allerdings sehen wir beim Weizen oftmals schwächere Proteinwerte als in den Vorjahren“, stellt der Deutsche Raiffeisenverband fest und wird hierin vom DBV bestätigt.
Die Trockenheit hält an: Bange Blicke auf Kartoffeln, Zuckerrüben und Mais
Der Ausblick für die anderen Kulturen, deren Ernte zum Teil schon begonnen hat, macht das Problem des Jahres 2022 noch einmal deutlich: „Empfindlicher getroffen von dem Niederschlagsmangel während der für die Ertragsbildung relevanten Entwicklungsphasen wurden die Sommerungen Kartoffeln, Mais und Zuckerrüben. Hier sind spürbare Ernteeinbußen zu erwarten“, urteilt das Ministerium. Ganz deutlich werden diese Auswirkungen wohl beim Körnermais zu sehen sein, meint Guido Seedler, Getreidemarktexperte des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV): „Die anhaltende Dürre wird beim Körnermais zu massiven Ertragsausfällen führen. Gegenwärtig rechnen wir mit Verlusten von knapp 600.000 Tonnen. Das sind rund 15 Prozent der ursprünglich prognostizierten Erntemenge“, sagt DRV-Getreidemarktexperte.
Silomaisernte mit großen Fragezeichen
Sehr kritisch dürfte aufgrund der anhaltenden Trockenheit die Silomaisernte werden. Um die dadurch entstehenden Lücken in der Futterversorgung zu schließen, dürften zusätzliche Flächen als Silomais abgeerntet werden, die ursprünglich für die Körnermaisernte vorgesehen waren. Leiden dürfte in beiden Fällen auf jeden Fall die Qualität der Silage. Deren Inhaltsstoffe dürften bei weitem nicht die Qualität der Vorjahre erreichen. Die Silageuntersuchung wird damit in diesem Jahr wichtiger denn je.