Ein Zwischenfazit von Dirk Gieschen, Agrarjournalist, Tarmstedt
Unter dem hoch gesteckten Leitthema „Transforming Animal Farming“ startet die EuroTier 2022 nach ihrer vierjährigen Pause mit großen Fragezeichen bei Ausstellern und Besuchern. Nehmen die Aussteller die Chance einer „echten“ Messe vor Ort an? Kommen die Landwirte und vor allem auch die Schweinehalter angesichts großer Verunsicherung auf den Höfen zur Messe? Wird die Messe dringend benötigte Lösungen für die großen Herausforderungen hinsichtlich mehr Tierwohl, Verbesserungen bei der Klimaeffizienz und gleichzeitig höherer Produktivität bieten?
Aussteller zeigen Zukunft auf – Politik schwächelt
Als Zwischenbilanz am dritten Messetag kann man ganz klar feststellen: Ja, die wichtigsten Aussteller sind da, die interessierten und interessanten Landwirte sind da und auf den Messeständen sind auch die Lösungen da. Nur die Politik, die schwächelt weiterhin. Die Reden waren „schön“, vorsichtig kritisch, aber brauchbare Aussagen, die eine langfristige Planungssicherheit bringen könnten, waren seitens der Politik knapp. Deshalb war und ist es umso wichtiger, dass sich die Aussteller und die DLG um klare Aussagen und Lösungen gekümmert haben.
„Ohne Tierhaltung wäre der Agrarsektor nicht existenzfähig“
Der Veranstalter sandte klare Botschaften an die anwesenden Politiker: „Die Tierhaltung in Europa und in Deutschland ist wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Lebensmittelerzeugung. Ohne Tierhaltung wäre der Agrarsektor nicht existenzfähig – weder konventionell noch ökologisch“, stellte DLG-Präsident Hubertus Paetow in der Eröffnungsfeier heraus.
Herausforderung Welternährung: 2050 werden 45 % mehr Lebensmittel benötigt
Nachdenkliche Gesichter gab es bereits am Vorabend der EuroTier beim Cattle & Pig-Event. Professor Tim Searchinger, Princeton University & Word Resources Institute, diskutierte die wachsenden Ansprüche hinsichtlich einer klimaneutralen Landwirtschaft als eine Seite der Medaille, zeigte dann aber eindrücklich die künftigen Herausforderungen der Welternährung als andere Seite der Medaille auf: „Zwei Drittel der 2050 lebenden Weltbevölkerung isst schon heute wenig Fleisch oder Milch – wird das so bleiben? Wie stark wird deren Nachfrage steigen? Hinzu kommt das Bevölkerungswachstum.“ Seine Prognose: 2050 werden im Verhältnis zu 2017 weltweit 45 % mehr Lebensmittel als heute benötigt. Die müssen irgendwo erzeugt werden. Wenn die Fläche für die Lebensmittelerzeugung insgesamt nicht zunehme, bedeute das auch 45 % mehr Lebensmittelerzeugung pro Hektar – also eine massive Produktivitätssteigerung.
Innovationen für Tierbeobachtung, Emissionsreduzierung und Arbeitswirtschaft
Die Agrarbranche ist auf dem Weg, diese Herausforderungen anzunehmen, das stellte der DLG-Präsident beim Eröffnungsabend klar heraus: „Die internationale Tierhaltungsbranche hat sich auf den Weg gemacht, um sich den drei Kern-Herausforderungen Produktivität, Klimawandel und Tierwohl zu stellen. Die EuroTier 2022 zeigt, welche Neuheiten die Ingenieurskunst in den letzten Jahren entwickelt hat. Beeindruckende Innovationen bringen Fortschritte bei der Tierbeobachtung, Reduktionen bei der Freisetzung von Emissionen und deutliche Verbesserungen in der Arbeitswirtschaft. Auch die Tierfütterung konnte deutliche Entwicklungssprünge machen. Hohe Tierleistung und verringerter Methanausstoß gehen Hand in Hand.“
DLG-Agrifuture Concept – drei Preise für Pionierarbeiten
Erstmals zeichnete die DLG auf der EuroTier drei Preisträger aus, die besondere Konzepte „mit Potenzial zur Verbesserung der guten fachlichen Praxis“ vorgestellt haben. Die Preisträger sind:
- Der „Modulare Zukunftsstall“ der Firma Wilhelm Kristen GmbH, bei dem die Stallplanung nicht vom Gebäude aus erfolgt, sondern ausgehend von den Bedürfnissen der Tiere, Mitarbeiter und Betriebsleiter. Dabei wird besonderen Wert auf ein Maximum an Kuhkomfort und Arbeitseffizienz, ein einfaches Belüftungssystem sowie eine möglichst einfache Unterkonstruktion gelegt.
- Das Roboterkonzept „Lely Exos“ der Lely Deutschland GmbH für das vollständig autonome Ernten und Füttern von frischem Gras. Der vollektrische Lely Exos stellt die Grünfutter-Tagesration für die gesamte Herde autonom bereit. Weil das Mähen zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, wird ein schnelles Nachwachsen des Grünlands gefördert und durch das im Verhältnis geringe Maschinengewicht wird der Boden geschont.
- Das strukturierte Buchtenkonzept „Havito – Birth to Finish“, einer strukturierten Bucht vom Abferkeln und zur Aufzucht und zur Mast, in der die Ferkel ohne Umsetzen verbleiben. Das Konzept ist auf einen 21-Wochen-Zyklus von der Geburt, über eine 5- bis 6-wöchige Säugezeit sowie eine 15-wöchige Aufzucht-/Mastphase bis zur Schlachtung ausgelegt. Es soll eine „smarte“ Antwort auf die zukünftigen Tierwohl-Herausforderungen für Schweinehalter mit geschlossenen Systemen darstellen.
Diese ausgezeichneten Innovationen sind neben den vier Goldmedaillen, 14 Silbermedaillen und 132 weiteren zugelassenen Neuheiten-Anmeldungen wertvoll für die Branche. Klar: Welche Neuheiten und Ideen sich nachher in der Praxis tatsächlich durchsetzen, werden die kommenden Jahre zeigen. Aber die EuroTier hat ihre Stellung als weltweit führende Bühne für die Neuvorstellung von Innovationen wieder einmal bestätigt – und die Besucher haben diese Bühne auch wieder angenommen.
Deshalb kann man das Schlusswort des DLG-Präsidenten bei der Eröffnung nur unterstreichen: „Tierhaltung ist Zukunft“ – und die EuroTier als Fachmesse hat diese Zukunft in dieser Woche aufgezeigt.