Die Zeitenwende hat 2022 auch für die Obstbaubetriebe in Deutschland drastische Folgen gehabt. Egal in welcher Region man nachfragt, auf allen Obstbautagen standen die gleichen Probleme im Mittelpunkt der Diskussion: Drastisch steigende Energiekosten und die dadurch mitverursachte hohe Inflation führen in allen Betrieben zu massiv gestiegenen Kosten. Hinzu kommt die Kaufzurückhaltung der Verbraucher, die zur Billigware aus dem Ausland anstatt zur hochwertigen regionalen Qualitätsware aus dem Inland greifen. Und zusätzlich müssen die Obstbauern auch noch mit dem deutlich höheren Mindestlohn für ihre Saisonkräfte klarkommen. Alles in allem stehen die deutschen Obstbauern 2023 vor einem schwierigen Anbaujahr. Dass sich diese Situation schnell ändert, glauben die Verbandsvertreter nicht.
Norddeutsche Obstbautage in Jork: Obstbauern in Gefahr!
„Die massiv gestiegenen Produktionskosten und der Preisverfall insbesondere bei Äpfeln, verbunden mit gesunkener Kaufkraft, bringen viele Obstbauern in existenzielle Gefahr“, stellte Claus Schliecker, Vorsitzender der Fachgruppe Obstbau im Landvolkverband Niedersachsen, jetzt auf den Norddeutschen Obstbautagen in Jork fest. Zur Landesfachgruppe gehören rund 600 niedersächsische Familienbetriebe. Das „Alte Land“ an der Niederelbe in Norddeutschland ist mit einer Fläche von 10.000 Hektar und einer Erntemenge von rund 300 000 Tonnen Obst jährlich das zweitgrößte zusammenhängende Obstanbaugebiet in Europa.
Schliecker schrieb der neuen niedersächsischen Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen) eine aus seiner Sicht wichtige Forderung ins Stammbuch: Die Ministerin solle für eine Gleichbehandlung der integriert und ökologisch wirtschaftenden Betriebe sowie für eine Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen für Arten- und Klimaschutz sorgen. Außerdem sei es für beide Bewirtschaftungsformen sehr wichtig, dass wirksame Pflanzenschutzmittel für die Obstbauern ausreichend verfügbar seien.
Fruchtwelt Bodensee in Friedrichshafen: Reichlich Gesprächsbedarf
Bereits im Vorfeld der Fruchtwelt Bodensee, die Ende Januar in Friedrichshafen stattfand, hatten Thomas Heilig und Erich Röhrenbach als Vorsitzende der Obstregion Bodensee e.V. klargestellt, dass Herausforderungen wie steigende Betriebskosten, rapide Klimaveränderungen und die angespannte Marktsituation für reichlich Gesprächsbedarf bei Obsterzeugern, Brennern und Landwirten sorgen. Sie betonten: „Am Bodensee produzieren die Erzeuger Obst mit einer hervorragenden Qualität. Doch die Wirtschaftlichkeit und damit auch die Existenzen der regionalen Obstbaubetriebe sind durch den Kostenanstieg zwischen 20 % und zum Teil mehr als 30 % bei einem Erlösrückgang im vergangenen Jahr von 18 % bedroht.“
53. Weinsberger Obstbautag für Heilbronn-Franken: Neue Chancen?
Auch beim 53. Weinsberger Obstbautag standen die Kostensteigerungen im Obstanbau im Mittelpunkt. Sie verursachten die größten Probleme für die Erzeuger. Dabei könne man steigende Kosten bei gleichzeitig sinkenden Abnahmezahlen nicht einfach an die Abnehmer weitergeben. Dies zeige das Beispiel der in Europa produzierten Äpfel: Bei einer Produktionsmenge von 12,7 Millionen Tonnen Äpfel konnten 2022 nur 10,5 Millionen Tonnen verkauft werden. Bei Erdbeeren sehe es nicht besser aus. Diese wurden laut Verbandsvertretern im vergangenen Jahr nicht einmal alle geerntet, weil die Nachfrage zu gering war.
Man müsse sich anpassen, um im Obstbau zukunftsfähig zu bleiben, machte Franz Rueß, Leiter der Abteilung Wein- und Obstbau an der Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) Weinsberg, auf dem Obstbautag klar: „Produkt- und Produktionsinnovationen müssen her.“ Er sieht auch durch eine stärkere Mechanisierung der Arbeiten, beispielsweise durch mehr Maschinen für Baumschnitt und Ernte, die Chance, die Arbeitszeit und damit auch die Kosten reduzieren zu können.
Oben Strom, unten Früchte - Agri-PV als Chance für Obstbauern?
Rueß stellte die Agri-Photovoltaik (Agri-PV) als eine interessante Chance für Obstbaubetriebe vor. Über der Obstkultur wird dabei eine teils lichtdurchlässige Solaranlage installiert. Dadurch erreiche man nach seinen Worten "Oben Stromertrag, unten Fruchtertrag". Hierzu laufen in Baden-Württemberg bereits Demonstrationsvorhaben, die vom Land gefördert werden. Es gebe bereits erste positive Ergebnisse.
Klare Forderung Mehr Wertschätzung für deutsches Obst!
Einig sind sich alle Verbandsvertreter deutschlandweit bei der Aufforderung an Handel und Verbraucher, dass doch den guten Worten bezüglich der regionalen Erzeugung jetzt wieder mehr Taten im Sinn von tatsächlichen Käufen der hochwertigen heimischen Ware folgen sollten. Deutlich wurde dies besonders auf dem 70. Obstbautag für Sachsen-Anhalt und Sachsen in Hettstedt: „Obstbauern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt fordern mehr Wertschätzung für heimisches Obst“ titelte die Mitteldeutsche Zeitung. Ein klarer Erfolg für die Agrarkommunikation der Obstbauern in dieser Region, die es geschafft haben, erhört zu werden und so die richtige Schlagzeile in der führenden Tageszeitung der Region zu bekommen. Ein Weckruf der Presse, den sich die deutschen Obstbauern bundesweit wünschen würden.
Große Herausforderung für Agrarkommunikation in der Obstbaubranche
Nötig wäre dieser Weckruf allemal, denn auch die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) bilanzierte auf der internationalen Fachmesse Fruit Logistica in Berlin: „Regionalität verlor beim Handel 2022 an Bedeutung. Obst wurde und wird nach wie vor wieder verstärkt beim Discounter gekauft. Diese erfuhren 2022 einen noch stärkeren Zulauf als vor der Pandemie.“ Diesen Trend gilt es unbedingt aufzuhalten. Eine echte Herausforderung für das Marketing und die Agrarkommunikation der gesamten deutschen Obstbaubranche.